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Gicht
 

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Autor

Wibke Janzarik
 

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 Einleitung
 

Arthritis urica

Gout

monosodium urate crystal deposition disease

M10.9

Hyperurikämie (Serum-Harnsäure > 6.4 mg/dl = > 380 μmol/dl, Grenzwert berücksichtigt die Löslichkeitsgrenze von Natriumurat im Plasma) mit klinischen Symptomen.

Vorkommen oft i.R. eines metabolischen Syndromes (stammbetonte Adipositas, Glukoseintoleranz oder Diabetes Typ2, Dyslipoproteinämie, essentielle Hypertonie).

 

 
 Epidemiologie
 

 

Hyperurikämie > 7 mg/dl bei ca. 20% der erwachsenen Männer, bei Frauen Anstieg meist erst nach der Menopause (östrogene haben urikosurischen Effekt). Risiko für Gichtanfall steigt mit Höhe der Hyperurikämie (bei Werten > 9 mg/dl Inzidenzrate ca. 5% pro Jahr).

  • USA: bis zu 8.4/1000.
  • seit Einführung der Allopurinoltherapie ist die chron. Gicht mit Tophusbildung selten geworden (ca. 5% aller Gichtpatienten)

 

Bei Männern 30-50 Jahre, bei Frauen 70 Jahre.

M > F

 

 

 
 Pathologie
 

1. Primäre Hyperurikämie / Gicht:

  1. Störung der tubulären Harnsäuresekretion (>99%), polygene Vererbung, Manifestation bei purinreicher Ernährung und Adipositas.
  2. Vermehrte Harnsäureproduktion (<1%): Mangel von HG-PRT (Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase).
    • Bei Lesch-Nyhan-Syndrom (X-chr. rezessiv), Aktivität <1% mit klin. Trias Hyperurikämie, progressiver Niereninsuffizienz und neurolog. Symptomen mit Neigung zur Selbstverstümmelung.
    • Bei Kelley-Seegmiller-Syndrom Aktivität auf 1-20% vermindert mit gleicher Trias, jedoch nur in 20% neurologisch auffällig und ohne Neigung zur Selbstverstümmelung.
    • Sehr selten gesteigerte Aktivität der PRPP-Synthetase (Phosphoribosylpyrophosphat-Synthetase)

2. Sekundäre Hyperurikämie:

  1. vermehrte Harnsäurebildung durch erhöhten Nukleotidstoffwechsel i.R. von Leukämien, Polyzythämie, Tumortherapie, Hämolyse.
  2. verminderte renale Harnsäureausscheidung i.R. von Nierenerkrankungen, Laktatazidosen, Ketoazidosen, Pharmaka (Saluretika)

Auslösung eines akuten Gichtanfalls durch

  • Fasten, reichhaltige Mahlzeiten, Alkohol, Stress u.a.
  • Medikamente: Zytostatikabehandlung, Diuretika, Cyclosporin
  • Trauma, chirurg. Eingriff

polygen
Lesch-Nyhan-Syndrom: X-chr. rezessiv

Gesamtgehalt an Harnsäure im Körper ca. 1g, bei Gichtkranken bis > 30g. Täglich fallen ca. 350 mg Harnsäure an (endogener und exogener Purinstoffwechsel), Ausscheidung 2/3 renal, < 1/3 enteral.

akuter Gichtanfall: Ist die Synovialflüssigkeit mit Harnsäure übersättigt, so kommt es zum Ausfällen von Urankristallen. Diese werden von Granulozyten phagozytiert, es kommt zur Freisetzung von Entzündungsmediatoren und Synovitis.

 

Histologischer Nachweis von Uratkristallen in alkoholfixiertem Gewebe, gefärbt in nicht-wässrigen Lösungen (z.B. Giemsa). In wässrigen Lösungen (z.B. HE-Färbung) lösen sich Uratkristalle auf.

 

 
 Diagnostik und Workup
 

klin. Manifestation:

  • Rezidivierende akute entzündliche Arthritis
  • Ansammlung von Harnsäurekristallen (Tophi)
  • Harnsäure-Nephrolithiasis
  • Nephropathie als Begleiterkrankung

  • (Familien-)Anamnese
  • Laboruntersuchung (Serum und Urin), Nierenfunktion
  • Röntgen betroffener Gelenke
  • evtl. Synovialanalyse
  • Therapieversuch (promptes Ansprechen auf Colchizin)
  • Spezialuntersuchungen bei V.a. Enzymdefekt des Purinstoffwechsels

Im Gichtanfall betroffenes Gelenk gerötet, geschwollen, überwärmt und stark schmerzhaft.

Röntgen:

  • Uratsteine sind nicht röntgendicht.
  • Bei chron. Gicht Nachweis von Knochentophie im Röntgenbild: Usuren (durch intraossäre Tophi), becherförmige Gelenkmutilationen, in einen Tophus hereinragende Osteophyten und periostale Osteophyten um kortikalen Tophus.

MRT: Tophi in T1-Wichtung relativ geringe homogene Signalintensität, in T2-Wichtung Intensität variabel; nach Gadoliniumapplikation evtl. homogene oder periphere Kontrastmittelaufnahme.

erhöhter Harnsäurespiegel im Serum

erhöhte Harnsäureausscheidung im 24h-Sammelurin

erhöhter Quotient Harnsäure:Kreatinin im Spontanurin

Definitive Diagnosestellung durch Analyse der Synovialflüssigkeit. Uratkristalle können polarisationsmikroskopisch nachgewiesen werden. Durch Zentrifugation wird die Sensitivität erhöht. Nachweis von Uratkristallen im betroffenen Gelenk auch im interkritischen Intervall möglich (bei unbehandelten Patienten und in 70% bei medikamentöser Therapie). Nachweis von Uratkristallen auch in Tophi möglich.

Bei chronischer Gicht Nachweis von Weichteiltophi mit Murexidprobe.

 

 

 

Alle Patienten mit manifester Gicht weisen im Krankheitsverlauf eine Hyperurikämie auf, jedoch kommt es bei vielen Patienten mit Hyperurikämie nicht zu einer Ablagerung von Harnsäurekristallen. Diagnose der Gicht daher durch Nachweis von Harnsäureablagerungen bei entsprechender Klinik. Hyperurikämie wird als Voraussetzung für eine Gicht gewertet, ist alleine jedoch nicht ausreichend für die Manifestation einer Gicht.

 
 Symptome und Befunde
 

Plötzlich (meist nachts) auftretende hochschmerzhafte Monoarthritis (Monoarthritis in >80%, initiale Polyarthritis v.a. bei zugrundeliegender myelo-/lymphoprolif. Erkrankung oder Behandlung mit Cyclosporin). In 60% ist das Grosszehengrundgelenk betroffen (Podagra), ansonsten Sprung-, Knie-, Daumengrundgelenk (Chiragra), bei Altersgicht auch atypische Lokalisation. Das betroffene Gelenk zeigt Rötung, Schwellung und Ueberwärmung, spontane Abheilung nach Tagen bis 3 Wochen.

Begleitsymptome: allg. Entzündungszeichen (Fieber, erhöhte BSG, Leukozytose), nicht obligat Hyperurikämie.

Bei primärer Gicht, heute selten i.R einer sek. Gicht bei untherapierten Patienten/schlechter Compliance:

  • Tophi (Uratablagerungen) in Weichteilen (z.B. Ohrmuschel, Grosszehe, Ferse, Ellenbogen, Sehnenscheiden, Bursen) und Knochen
  • renale Manifestationen (Uratnephropathie = primär abakterielle interstitielle Nephritis; selten akute Harnsäurenephropathie = obstruktive Uratnephropathie bis hin zu akutem Nierenversagen bei massivem Harnsäureanstieg)

 

 
 Verlauf und Prognose
 

Manifestation in vier Stadien:

  • I. Asymptomatische Hyperurikämie
  • II. Akuter Gichtanfall
  • III. Interkritisches Intervall (symptomlos)
  • IV. Chronische Gicht mit Tophusbildung und irreversiblen Gelenkveränderungen (Tophi sind schmerzlos, jedoch kommen akute Entzündungen von Tophi vor)

Akuter Gichtanfall meist nach jahrelanger asymptomatischer Hyperurikämie. Asymptomatische interkritische Phasen sind typisch für Kristallarthropathien. Die interkritischen Phasen sind von variable Dauer. Bei unbehandelter Gicht nächster Anfall meist innerhalb von 2 Jahren; weitere Anfälle meist nach kürzeren Intervallen, bei zunehmender Schwere der Anfälle. Im Verlauf evtl. Uebergang in chron. Polyarthritis (bei unbehandelten Patienten durchschnittlich 12 Jahre nach erstem Gichtanfall) mit asymmetrischen und asynchronen Beschwerden, histolog. Nachweis von Harnsäureablagerungen und radiologisch nachweisbaren Veränderungen.

renal:

  1. Nephrolithiasis (nur 5-10% aller Nierensteine in Europa/USA, jedoch 40% in heisseren Klimazonen sind Harnsäuresteine): vor Einführung einer effektiven Therapie entwickelten ca. 20% aller Gichtpatienten Uratsteine (Risikofaktoren: erhöhte Harnsäureausscheidung, verminderte Urinausscheidung, niedriger Urin-pH)
  2. chron. Uratnephropathie (häufig bei Patienten mit Gicht, jedoch meist in Zusammenhang mit anderen Erkrankungen, wie Bluthochdruck, Diabetes, Adipositas, Atherosklerose): interstitielle Uratablagerung im Nierenmark mit chron. entz. Reaktion und variabler Fibrose; resultierend progressive Azotämie, kleine Proteinurie, Isosthenurie.

 

 

 

 
 Differentialdiagnosen
 

1.

Sekundäre Hyperurikämie

2.

Akute Monoarthritis anderer Genese, z.B reaktive Arthritis, akute septische Arthritis

3.

aktivierte Arthrose

4.

rheumatisches Fieber

5.

Chondrokalzinose = Pseudogicht (Ablagerung von Calciumpyrophosphatkristallen, betroffen insb. Kniegelenk)

6.

Stressfraktur oder Trauma

Bei unklarer Diagnose Gelenkpunktion mit Analyse der Synovialflüssigkeit.

 
 Therapien
 

1.

Normalisierung des Körpergewichtes (!bei Fasten Anstieg der Harnsäure), viel trinken bei ausreichender Diurese.

2.

Purinarme Kost: fleischarm, keine Innereien/ Sardinen/ Fleischextrakt etc.

3.

Verzicht auf Alkohol (Alkoholkonsum führt über eine Laktatazidose zu einer verminderten renalen Harnsäureexkretion und kann Gichtanfall auslösen)

akuter Gichtanfall:
Beginn der Therapie so früh wie möglich

1.

NSAR als Mittel 1. Wahl, z.B. Diclofenac (50-150mg/d), Indometacin (50-150mg/d); bei KI (gastrointest. Beschwerden) selekt. COX-2-Hemmern (Coxibe) oder glz. Gabe von Ulkus-protektiven Substanzen (PPI oder Misoprostol)

2.

Colchicin (Phagozytenhemmung, Wirkung relativ gichtspezifisch, daher auch diagnostischer Therapieversuch): Ind: Intoleranz gegen NSAR oder vorangehende erfolgreiche Behandlung mit Colchizin; NW: gastrointest. Beschwerden, Diarrhö, selten Agranulozytose; KI: Schwangerschaft/ Stillzeit; Dosierung: In den ersten 4h 1mg/h, dann 0.5-1mg/2h bei max. Dosis von 6mg/d, bei klin. Besserung rasche Dosisreduktion.

3.

Intraartikuläre Steroidinjektion (auch geeignet für Patienten mit parenteraler Ernährung oder bei fortgeschrittenem Nierenversagen): Ind: sterile Monoarthritis; Dosierung z.B. Triamcinolon 20mg intraartikulär (selten orale Prednisongabe, 30mg/d mit schrittweiser Dosisreduktion über 7-10d, aber Gefahr eines erneuten Gichtanfalles bei Absetzen).

Dauerbehandlung:
Bei asymptomatischer Hyperurikämie bis 9mg/dl nur dietätische Behandlung. Medikamentöse Behandlung bei Hyperurikämie >9mg/dl oder manifester Gicht.

1.

Urikostatika: Allopurinol als Mittel 1. Wahl (Hemmung der Xanthinoxidase, dadurch verm. Harnsäureanstieg; verhindert Fortschreiten der Gicht); NW: selten gastrointest. Beschwerden, Anstieg der Transaminasen, Leukozytopenie (erhöhtes Risiko bei glz. Einnahme von Captopril), selten toxisch-allerg. Reaktion; !hemmt Abbau von Mercaptopurin/ Azathioprin, Theophyllin, Phenprocoumon; KI: Schwangerschaft/Stillzeit; Dosierung: 100-300mg/d, bei Niereninsuffizienz Dosisreduktion, Zielwert von Harnsäure im Serum: 5-6mg/dl !evtl. initialer Gichtanfall durch Mobilisation von Harnsäuredepots.

2.

Urikosurika (Steigerung der Harnsäureausscheidung durch Hemmung der tubulären Harnsäureabsorption): z.B. Benzbromaron, Probenecid; NW: gastrointest. Beschwerden, selten allerg. Reaktion. !einschleichend dosieren, da sonst Gefahr der tubulären Harnsäureausfällung; viel trinken, Harnneurtralisierung (pH 6.5-7) z.B. mit Uralyt U; Ind: bei Unverträglichkeit von Allopurinol; KI: Gichtnephropathie, Harnsäureüberproduktion.

Nur in seltenen Fällen chronischer Gicht mit Tophusbildung indiziert, zur Behandlung von Komplikationen, wie Infektion, mechanische Verdrängungserscheinungen durch Tophi, Gelenkdeformation, starke Schmerzen.

Vorgehensweise im ersten interkritischen Intervall:

  1. Diagnosestellung (wenn noch nicht geschehen)
  2. Klassifizierung nach zugrundeliegendem Mechanismus (primär, sekundär: Ueberproduktion von Harnsäure oder verminderte Ausscheidung)
  3. Ausschaltung von Risikofaktoren
  4. Wenn notwendig, prophylaktische Therapie

 

 
 Referenzen
 

Herold 2002

Becker 2003

Becker 2003b

 

 

 

 
 Editorial
 

Wibke Janzarik

26.05.2004

Magdalena C. Kraus (Editor)

Julian Thaler, 22.06.2004

 

PRELIMINARY

Lizenz für freie Inhalte

 
 Kommentare
 
 
  Julian Thaler schrieb am 22.06.2004 um 15:33 Uhr:
 

Schöner Artikel!

 
  Tobias Schäfer schrieb am 23.06.2004 um 17:35 Uhr:
 

Prof. Frey, Nephrologie Bern, mein dazu:
Die Löslichkeit von Harnsäure hängt von der Konzentration, der lokalen Entzündung und der Temperatur ab. An den Akren kommt es aufgrund der niedrigeren Temperatur leichter zum Ausfällen der Kristalle.
Tritt die Gicht an anderen Gelenken auf, muss nach einer Durchblutungsstörung gesucht werden.

Viele Grüsse

Tobias

 
 

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