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Medicle Datenbank: Akutes Lungenödem
 

 Pathologie
 

A) kardiale Ursache (am häufigsten):

akute Linksherzinsuffizienz aufgrund einer

  • Ausflusstörung des linken Vorhofs:
    • chronische Ausflusstörung
      oft exazerbiert durch Fieber, Stress, Vorhofflimmern, Ventrikuläre Tachykardie), da die Füllungszeit des linken Ventrikels reduziert wird, bzw. durch Volumenüberlastung bei Schwangerschaft bzw. erhöhter Salzbelastung
    • Mitralstenose:
      v.a. leichte Formen, da bei schwerer Mitralstenose bereits Pulmonalsklerose mit höherer Drucktoleranz vorliegt
      Ursachen: Rheumatisches Fieber, Vorhofmyxome, Thrombus des Herzklappenersatzes, kongenitale Membranen im linken Vorhof (z.B. Cor triatriatum)
    • akute Mitralklappeninsuffizienz:
      rapider Anstieg der linksventrikulären enddiastolischen Druck-Volumen-Kurve; erhöhtes linksventrikuläres enddiastolisches Volumen und verringerte Fähigkeit des linken Vorhofs, den linken Ventrikel zu füllen.
      Ursachen: Papillarmuskeldysfunktion, Ruptur der Chordae tendineae (akuter Herzinfarkt, selten auch spontan bei chronischer Mitralinsuffizienz)
  • systolische Dysfunktion des linken Ventrikels:
    verringerter Ausfluss führt zu einer Aktivierung des RAAS und des Sympathikus mit konsekutiver Salz- und Wasserretention
  • diastolische Dysfunktion des linken Ventrikels:
    erhöhte Steifheit des Ventrikels und reduzierte Compliance führen zu verminderter Füllung in der Diastole; als pathogenetische Faktoren werden neben dem erhöhten enddiastolischen Druck gleichzeitige systolische Dysfunktion, reduzierter koronarer Fluss mit subendokardialer Ischämie und gleichzeitige Arrhythmien (v.a. Vorhofflimmern) genannt
  • Linksventrikuläre Volumenüberlastung
  • Linksventrikuläre Ausflussbehinderung

Postoperativ ist die positive Flüssigkeitsbilanz von mehr als 67 ml/kg und Tag innerhalb der ersten 36 Stunden Hinweis auf ein kardiales Lungenödem.

B) Erniedrigter Alveolardruck

  • Postexpansionsödem:
    bei schneller Punktion eines Pleuraergusses (> 1,5 l /Tag) oder nach Entfaltung einer kollabierten Lunge bei Pneumothorax, dann unilateral. Manifestation innerhalb der ersten 24 Stunden. Mortalität ca. 20%.
  • Lungenödem nach Pneumonektomie
    Häufigkeit 2 - 5 Prozent, dreifach häufiger bei rechter als bei linker Pneumektomie; wahrscheinlich Form des Acute respiratory distress syndrome (ARDS). Auftreten innerhalb von 72 Stunden nach Operation. Risiko verringert durch einzelne intraoperative Gabe von Solumedrol vor Ligatur der A. pulmonalis (250 mg).
  • Niederdruck-Lungenödem:
    postoperative nicht-kardiogene Form aufgrund eines Laryngospasmus nach Extubation (u.a. forcierte Expiration gegen geschlossene Glottis = Müller oder umgekehrtes Valsalva-Manöver)
    Häufigkeit unbekannt, bei ca. 0,05 - 0,1% aller Intubationen
  • Höhenlungenödem: erniedrigter Alveolardruck und pulmonale Vasokonstriktion aufgrund eines Sauerstoffmangels (Euler-Liljestrand-Reflex) bei einem schnellen Aufstieg auf 3600 bis 3900 m. Siehe Höhenkrankheit.

C) Permeabilitätssteigerung der Lungenkapillaren

  • allergisch (anaphylaktischer Schock)
  • toxisch:
    • Urämie
    • Reizgase
    • 100%-O2-Beatmung
    • Magensaftaspiration
    • Heroinabusus, Methadongaben: direkte Toxizität und Azidose aufgrund Hyperventilation / zerebralem Ödem
    • Naloxan-Gabe
    • Salicylate: ältere Patienten, langjährige Einnahme
  • ARDS
  • Traumata, Sepsis, Verbrennungen

D) Neurogenes Lungenödem

  • v.a. Epilepsien
    postiktaler Zeitraum, ca. 1/3 der Patienten mit fatalem Status epilepticus haben eine positive Anamnese für ein neurogenes Lungenödem
  • Schädelhirntraumen
    offene oder geschlossene Verletzungen einschliesslich neurochirurgischen Massnahmen, oft mit erhöhtem intrakranialem Druck (dieser ist jedoch keine Vorraussetzung)
  • zerebrale Hämorrhagien
    Subarachnoidalblutungen oder intrakraniale Blutungen; Entstehung auch Tage nach Ereignis möglich
  • Meningoenzephalitiden und anderes

E) Andere Ursachen

  • Infekte (Pneumonien)
  • Lungenembolien: erhöhter pulmonalvenöser Druck, Atelektasenbildung
  • Reperfusions-Lungenödem
    Nach der Entfernung von thromboembolischen Gefässverschlüssen kommt es innerhalb von 72 Stunden zu einem Ödem, welches streng auf das hinter dem Verschluss liegende Areal beschränkt ist. Ursache für postoperative Hypoxämie, Hämorrhagie und fatalen Ausgang von Lungenembolien.

Herabgesetzter onkotischer Druck / Hypoalbuminämie ist KEINE Ursache:
Im Gegensatz zu peripheren Ödemen kommt es nicht zum Lungenödem, wahrscheinlich aufgrund einer erhöhten Permeabilität der pulmonalen Kapillaren für Albumin und damit erhöhtem interstitiellen onkotischen Druck von ca. 18 mmHg. Mit dem Abfall des onkotischen Druckes im Plasma fällt auch der onkotische Druck des Lungeninterstitiums. Damit verändert sich der onkotische Druckgradient nicht, und es entsteht kein Lungenödem, sofern sich der Druck im linken Vorhof und in den Lungenkapillaren nicht ändern.

Ursachen für ein hochakutes Lungenödem ("flash edema"):

für Negativdruck-Lungenödem bei Intubationen: Adipositas, kurzer Hals, obstruktive Schlafapnoe, HNO-Operationen

Allgemeines:
Die Flüssigkeiten zwischen Lungeninterstitium und Gefäßlumen stehen in einem Gleichgewicht. Der Nettofluss über eine Membran wird von der Starling-Gleichung beschrieben:

Q = K(Pcap - Pis) - λ(Πcap - Πis)

mit:

  • Q: Netto-Flüssigkeitsfiltration (Volumen pro Zeiteinheit)
  • K: Filtrationskoeffizient; K = P x S mit P = Permeabilitätsindex der Kapillarwand und S = Austauschoberfläche
  • Pcap: hydrostatischer Druck in den Kapillaren
  • Pis: hydrostatischer Druck im Interstitium
  • λ: Reflexionskoeffizient, der die Effektivität des Proteindurchlasses durch die Kapillarwand beschreibt
  • Πcap: onkotischer Druck in den Kapillaren
  • Πis: onkotischer Druck im Lungeninterstitium


In der normalen Mikrozirkulation gibt es eine kontinuierliche Filtration einer kleinen Menge proteinarmer Flüssigkeit. Änderungen der Parameter dieser Starling-Gleichung können ein Lungenödem durch Extravasation von Flüssigkeit in das Interstitium und anschliessend in die Alveolen bewirken.
Dabei tritt das kardiale Lungenödem ab einem Kapillardruck von mehr als 18 mmHg auf. Die häufigste Ursache des nichtkardialen Lungenödems ist eine Veränderung der Kapillarpermeabilität.
Zusätzlich zu den gegebenen Größen wird die Gleichung oft mit einem Lymphabflussparameter ergänzt. Die Akkumulation von Flüssigkeit in der Lunge ist in hohem Maße von der Effektivität des Lymphabflusses abhängig. So wurde bei Patienten mit chronischer Linksherzinsuffizienz und guter Kompensation durch den Lymphabfluß erst bei einem Kapillardruck von 25 mmHg ein Lungenödem festgestellt.

Das kardiales Lungenödem:
Der primäre patholphysiologische Mechanismus liegt in einer Erhöhung des pulmonalen Kapillardruckes aufgrund einer schwerwiegenden linksventrikulären systolischen oder diastolischen Dysfunktion. Die Permeabilität der Kapillarmembran ist primär nicht verändert. Hierdurch kommt es zu einer Nettofiltration einer proteinarmen Flüssigkeit in das Lungeninterstitium und sekundär in den Alveolarraum, was zu einer erhöhten Diffusionskapazität, Hypoxie und Atemnot führt.
Mit ähnlicher Pathogenese in Abwesenheit einer Herzerkrankung kann es bei primärer Hyperhydratation aufgrund von Bluttransfusionen oder schweren Nierenerkrankungen kommen.

Das Lungenödem im Rahmen des ARDS:
Durch Schädigung der Membran zwischen Alveolen und Kapillaren kommt es zu einem Übertritt von Proteinen aus dem intravaskulären in den interstitiellen Raum. Die interstitielle Proteinkonzentration steigt dabei auf über 60% der Plasmaproteinkonzentration an, im Unterschied zum kardialen Lungenödem, wo die interstitielle Proteinkonzentration weniger als 40% der Plasmaproteinkonzentration beträgt.
ARDS wird dabei vom der pathologischen Einheit des Lungenödems aufgrund von Permeabilitätsänderungen der Kapillarmembran abgegrenzt. ARDS umfasst dabei weitergehende strukturelle Veränderungen des Lungengewebes, während beim Lungenödem transiente Veränderungen vorherrschen.

Das neurogene Lungenödem:
Die Pathophysiologie des neurogenen Lungenödems ist nur sehr unzureichend verstanden. Verschiedene Theorien zur Entstehung postulieren Ursachen im Hypothalamus, in der Medulla, im erhöhten Hirndruck (ICP) sowie in der Aktivierung des Sympathikus. Gegenwärtig wird der Medulla die größte Bedeutung beigemessen, wahrscheinlich in Verbindung mit einer sympathikoadrenergen Aktivierung. Die Verbindung eines zerebralen Ereignisses mit der Änderung der Parameter der Starling-Gleichung ist weiterhin unklar. Folgende Elemente könnten eine Rolle spielen:

  • Hydrostatischer Druck der Kapillaren:
    Es ist unwahrscheinlich, dass das ZNS schnelle Veränderungen der onkotischen Druckverhältnisse bewirken kann. Veränderungen am hydrostatischen Druck oder Lymphabfluss der Lungen sind wahrscheinlicher. Übereinstimmend mit dieser Hypothese zeigt die alveolare Flüssigkeit zu Beginn des neurogenen Lungenödems ein niedriges Verhältnis von Flüssigkeit zu Serumprotein, wie bei einem hydrostatischen Ödem. Der hydrostatische Druck der Pulmonalkapillaren wird erhöht über eine pulmonale Vasokonstriktion aufgrund einer Hypertonie oder einer Sympathikus-Aktivierung. In Ratten konnte dieser Mechanismus nach Kopfverletzungen gezeigt werden; es kam zu einer Konstriktion der Pulmonalvenen, die mit α-Antagonisten aufgehoben werden konnte.
  • Permeabilität der pulmonalen Kapillaren: Alternativhypothese, die ohne hydrostatische Druckveränderungen auskommt. Experimente mit Farbstoffen deuten auf eine veränderte vaskuläre Permeabilität hin. Auch hier ist der Zusammenhang zum zerebralen Ereignis rein hypothetisch. Sympathische Stimulation, eventuell über sekundäre Mediatoren wie Endorphine, Histamin oder Bradykinin, könnte die Bedeutung der α-Antagonisten in der Therapie des Ödems erklären.
    Eine initiale kurzzeitige Erhöhung des pulmonalen Gefäßwiderstandes (beispielsweise aufgrund eines kurzfristigen pulmonalen Vasospasmus bei erhöhtem systemischen venösen Fluss) könnte eine Schädigung des pulmonalen Gefäßbettes mit konsekutiver Permeabilitätserhöhung hervorrufen. Entsprechende Kaninchenmodelle existieren, bei denen Drücke> 40 mmHg eine nachfolgende Kapillarschädigung und Lungenödeme hervorgerufen haben.