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Medicle Datenbank: Infektiöse Endokarditis
 

 Einleitung
 

infektiöse Endocarditis

endocarditis; encarditis

inflammation of the endocardium

bacterial, infectious, subacute bacterial, fungal, mycotic, septic, thromboulcerative, ulcerative, valvular, verrucous, vegetative endocarditis (je nach Beschreibung und Art der Endokarditis)

I33.0

septische Erkrankung, ausgelöst durch einen infektiösen Herdbefall im Endokardbereich (insbesondere Herzklappenregion)

  1. akute Sepsis (= Endokarditis acuta / ulcerosa)
  2. subakute Sepsis (= Endokarditis lenta / polyposa)

 

 
 Epidemiologie
 

westliche Industriestaaten: 6 Neuerkrankungen/100.000/Jahr

häufig bei älteren Menschen (vorbestehende Klappenschädigungen)

z.T. auch junge Patienten insbesondere in Risikogruppen (kongenitale Herzfehler, i.v. Drogenabusus)

5. Lebensdekade

asymptomatische Bakteriämien (positive Blutkulturen nach Zahnreinigung, Kauen harter Lebensmittel)

Einschwemmung von Bakterien durch Eingriffe an Schleimhäuten (Gastroenterologie, HNO)

bakterielle Besiedelung von Venenverweilkanülen

unsteriler i.v.-Drogenabusus (wiederverwendete Nadeln)

 

 
 Pathologie
 

Ursachen
Häufigkeit
rheumatische Erkrankungen 20-30%
  • Aorten- und Mitralklappe
  • Mitralklappe
  • Aortenklappe
50%
35%
15%
kongenitale Vitien 10-20%
  • persistierender Ductus arteriosus (Botalli)
  • VSD (Ventrikelseptumdefekt)
  • Pulmonalstenose
>80%

degenerative Klappenerkrankungen 10-20%
  • Aortenklappe
  • Mitralklappe
50%
50%
kardiochirurgische Manipulationen 10-20%
i.v.-Drogenabusus 5%
  • Trikuspidal-/Pulmonalklappe ("Rechtsherzendokarditis")
50%

Anmerkung:

  • in Industrienationen nimmt die Häufigkeit der rheumatischen Vorschädigungen der Klappen ab
  • kardiochirurgische Maßnahmen und Langzeitantibiose treten als begünstigende Faktoren in den Vordergrund
  • bei 10% der Patienten ist keine Klappenvorschädigung feststellbar (hier häufig hochvirulente Staphylokokken)

Streptokokken 65%
  • viridans
  • bovis
  • sonstige
35%
15%
<5%
Staphylokokken 25%
  • aureus
  • epidermidis
23%
<5%
Enterokokken 5%
gramnegative Bakterien <5%
Pilze <5%

seltene Erreger:

Chlamydien, Mykoplasmen, Legionellen, Coxiella burneti, Hämophilus, u.a.

keine Angabe
nicht identifizierbar 10%

Anmerkung:

  • rückläufige Häufigkeit bei Streptokokkenendokarditiden
  • Häufung der seltenen Erregerformen (vermehrte Verwendung künstlicher implantierbarer Systeme und expandierte intensivmedizinische Maßnahmen)

siehe Ätiologie

Theorie der sekundären Besiedelung

  1. meist wird eine schon vorgeschädigte Herzklappe (siehe Ätiologie) befallen
  2. transitorische Bakteriämien werden durch Bakterizidie des Serums (zirkulierende Antikörper, Faktoren, etc.) schnell unterbunden
  3. Endothelläsionen, Fibrin- und Thrombozytenablagerungen schaffen eine rauhe Oberfläche (nichtbakterielle thrombotische Endokarditis), die die Bakterien schützt (sekundäre Besiedelung)

Anmerkung:

Diese Theorie erklärt zwar gut die Besiedelung von rheumatisch vorgeschädigten Klappen und Fremdmaterialien, aber die 10% der Fälle, in denen junge Patienten mit "gesunden" Klappen betroffen sind, werden nicht ausreichend abgeklärt.

Weitere Theorien gehen von einer reduzierten Immunabwehr des Patienten oder einer besonderen Fähigkeit zur Anheftung seitens der Bakterien aus.

Wie meistens bei solchen Theorien wird die Wahrheit wohl irgendwo dazwischen liegen!

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Endokarditis ulcerosa (acuta):

  • Nekrosen
  • kleine gelblich-braune Vegetationen im Bereich der Klappenränder (Verschlußseite)
  • kleine rötliche Ulzerationen (durch Einschmelzen der Nekrosen)

Endokarditis polyposa (lenta):

  • thrombotische Auflagerungen (polypös)
  • kleine Vegetationen, seltener Ulzerationen

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Endokarditis ulcerosa (acuta):

  • Erregernester
  • Granulozyten
  • Ulzerationen (z.T. thrombenbedeckt)

Endokarditis polyposa (lenta):

  • Erregernester
  • viele Granulozyten
  • viele Lymphozyten
  • Makrophagen
  • Granulationsgewebe

 

 
 Diagnostik und Workup
 

nach Durack (1994)= Dukes-Kriterien

erforderlich sind:

  • 2 Hauptkriterien
  • 1 Hauptkriterium und 3 Nebenkriterien
  • 5 Nebenkriterien
Hauptkriterien
Nebenkriterien

positive Blutkulturen

  • typischer Erreger aus getrennt abgenommenen Kulturen
  • wiederholt positive Kulturen (12 h Abstand)
  • 3 von 3 bzw. 3 von 4 Kulturen positiv (1 h Gesamtabstand)

Prädisposition

  • vorbestehendes Vitium
  • i.v.-Drogenabusus

Echokardiogramm

  • typische Vegetation
  • Abszess
  • Erstmanifestation eines Fehlers bei einer Kunstklappe
  • Erstmanifestation einer Regurgitation

Echokardiogramm

  • V.a. Vegetation
  • V.a. Abszess

Gefäßveränderungen

  • arterielle Embolien
  • septische Lungeninfarkte
  • mykotische Aneurysmen
  • intrakranielle Blutung
  • Janeway-Läsionen

immunologische Komponenten

  • Glomerulonephritis
  • Osler-Knötchen
  • Roth-spots (rundliche Netzhautblutungen mit weissem Zentrum)
  • positiver Rheumafaktor

Fieber > oder = 38°C

Mikrobiologie

  • pos. Blutkultur (nicht mit Hauptkriterien kompatibel)
  • serologischer Infektnachweis eines Endokarditiserregers

Anamnese (wichtig: rheumatische Vorerkrankungen, kardiochirurgische Eingriffe)

Untersuchung (Herzgeräusche)

Labor; Echokardiographie, Blutkulturen

Inspektion:

  • Petechien
  • Splitterhämorrhagien (subunguale Blutungen)
  • Osler-Knötchen (linsengroß, schmerzhaft, rötlich) an den Endphalangen
  • Trommelschlegelfinger
  • Uhrglasnägel
  • Janeway-Läsionen (schmerzlos, hämorrhagisch-makulöses Exanthem)
  • z.T. Zeichen einer Herzinsuffizienz (gestaute Halsvenen)

Palpation:

  • Splenomegalie

Auskultation:

  • pathologisches Herzgeräusch (rasche Änderung möglich, deshalb regelmäßige Auskultation)

Echokardiographie: (bei Bedarf transösophageal TEE)

  • ab 2-3 mm Vegetationsgröße
  • flottierende Fremdechos
  • bei Prothese schwierig wegen vielen Artefakten
  • perivalvuläre Abszesse (Grund für Therapieresistenz; schnelle OP nötig)

Farb-Doppler-Echokardiographie:

  • Regurgitationen bei Klappeninsuffizienzen

z.T. AV-Blockaden durch perivalvuläre Abszesse

90-100% BSG-Beschleunigung

90-100% CRP-Erhöhung

70-90% Anämie (Hb < 12 g/dl)

70% Kryoglobuline

50% Autoantikörper

35-50% positiver Rheumafaktor

30-50% Leukozytose (>10.000 pro Mikroliter)

20-30% Hypergammaglobulinämie (>20%)

10-35% zirkulierende Immunkomplexe

10-20% Kreatinin (> 1,5 mg/dl)

50-65% Proteinurie

30-50% Hämaturie

 

 
 Symptome und Befunde
 

85-100%

  • z.T. sogar Schüttelfrost

95-100%

  • Tachykardie
  • B-Symptomatik (Appetitlosigkeit; Gewichtsverlust; Nachtschweiß)
  • Schwäche
  • Abgeschlagenheit 

60-99%

  • pathologisches Herzgeräusch (aufgrund des schnell wechselnden Charakters muss täglich auskultiert werden / z.T. durch rheumatische Vorerkrankung schon vorhanden)
  • Herzinsuffizienz
  • Klappenperforation /-abriss

30-70%

  • 30% Petechien
  • Splitterhämorrhagien (splinter hemorrhages, v.a. an den Akren und subungual)
  • Osler-Knötchen (linsengroß, schmerzhaft, rötlich) an den Endphalangen
  • Trommelschlegelfinger
  • Uhrglasnägel
  • Janeway-Läsionen (schmerzlos, hämorrhagisch-makulöses Exanthem)

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Splitterhämorrhagien subungual

15-50%

  • Hämaturie
  • Proteinurie
  • oft glomeruläre Herdnephritis (Löhlein = Poststreptokokken-Glomerulonephritis)
  • selten akute diffuse Glomerulonephritis
  • Niereninfarkt

20-40%

  • Muskeln
  • Gelenke
  • Glieder

30-35%

  • embolische Herdenzephalitis (passagere Hemiparesen; Retinamikroembolien)
  • mykotisches Aneurysma
  • Hirnabszess
  • Enzephalopathie

 

 
 Verlauf und Prognose
 

  • akute Sepsis (= Endokarditis acuta / ulcerosa):
    • Staphylokokken, Enterokokken, Pilze
    • ältere Patienten, nach Herz-OPs, i.v.-Drogenabhängige
  • subakute Sepsis (= Endokarditis lenta / polyposa):
    • Streptokokkus viridans

  • akute Sepsis (= Endokarditis acuta / ulcerosa):
    ohne Therapie infauste Prognose und rasch Progredienz(kardiales / renales Versagen)
  • subakute Sepsis (= Endokarditis lenta / polyposa)
    progressive Herzinsuffizienz

Anmerkung:

  1. bei optimaler Therapie 70%ige Überlebenswahrscheinlichkeit
  2. ungünstige prognostische Faktoren:
    • Klappenprothesen
    • gramnegative Bakterien
    • Pilze
    • rasanter Verlauf
    • zusätzlich vorbestehende oder sich entwickelnde Herzinsuffizienz
  3. kardiales Versagen als häufigste Todesursache

  • die Prophylaxe kann nur die häufigsten Erreger abdecken und ist deshalb kein absoluter Schutz
  • folgendes Schema ist eine leicht abgewandelte Form des Schemas von Dajani et al., 1997 [S2]
  • da es noch weitere, teils abweichende Schemata gibt, darf dieses Schema nicht unreflektiert angewendet werden (Kontaktierung eines Fachmanns dringend empfohlen!)

Risikogruppen:

hohes Risiko
mäßiges Risiko
Kunstklappen Herzklappenfehler
bekannte bakterielle Endokarditis in der Vorgeschichte VSD (Ventrikelseptumdefekt)
  PDA (persistierender Ductus arteriosus Botalli)
  HOCM (hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie)
  Mitralklappenprolaps mit begleitender Insuffizienz

Behandlungsschemata:

Schema
Medikation
A 2-3g Amoxicillin oral 1h präoperativ
B 600mg Clindamycin oral 1h präoperativ
C

2g Ampicillin i.v. + 1,5mg/kgKG Gentamicin i.v. 30min präoperativ

1g Ampicillin i.v. oder Amoxicillin oral 6h postoperativ

D 1g Vancomycin i.v. 1h vor Eingriff
E 1g Vancomycin i.v. + 1,5mg/kgKG Gentamicin i.v. 30min präoperativ

Eingriffe:

 
hohes Risiko
mäßiges Risiko

Oropharynx-
Respirationstrakt

A
B

A
B

Urogenital-
Intestinaltrakt

C
E

A
D

 

 
 Differentialdiagnosen
 

unklare Fieberzustände (Fieber + Herzgeräusch => CAVE Endokarditis)

andere Endokarditisformen, u.a. Endokarditis lenta

 

 
 Therapien
 

bei fehlender positiver Blutkultur muss auch ohne Vorliegen eines Antibiogramms therapiert werden

Empfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft zur empirischen Initialtherapie von Infektionen bei Erwachsenen:

Diagnose
Bakterielle Erreger
Initialtherapie
Therapiedauer
Nativklappe

     
akuter Verlauf
Staphylococcus aureus

Cephalosporin Gruppe 2 + Aminoglykosid
Isoxazolylpenicillin + Aminoglykosid
Alternativ
Glykopeptid
Carbapenem

gesamt 4 bis 6 Wochen
Aminoglykosid 14 Tage

subakuter Verlauf
Viridans-Streptokokken

Penicillin G + Aminoglykosid
Ceftriaxon + Aminoglykosid
gesamt 2 bis 4 Wochen

  Enterokokken

Ampicillin + Aminoglykosid
alternativ
Glykopeptid
Carbapenem

gesamt 3 bis 6 Wochen
Aminoglykosid 14 Tage

Kunstklappe

     

early-onset

late-onset

Staphylococcus epidermidis

Staphylococcus aureus
aerobe gramnegative Stäbchen
Viridans-Streptokokken
Enterokokken
Corynebakterien u.a.

Glykopeptid + Cephalosporin Gruppe 3
alternativ
Glykopeptid + Carbapenem
Glykopeptid + Fluorchinolon Gruppe 2

 

wenn ein Antibiogramm aufgrund einer positiven Blutkultur erstellt werden konnte, so ist das Therapieschema umgehend der Empfehlung des Mikrobiologen anzupassen (medikamententypische Nebenwirkungen und Kontraindikationen sind den Herstellerangaben zu entnehmen und entsprechend zu berücksichtigen)

  • prothetischer Klappenersatz
  • Ausgedehntes Debridement von Vegetationen
  • Ausräumung intramyokardialer Abszesse

 

 
 Referenzen
 

Herold 2003, S.125-128

Harrison 2001

TIM 1999, S.1182-1187

Reuter 2001, S.230

 
 Editorial
 

Andreas Stefan Welker

09.01.2004

Andreas Stefan Welker (Editor)

Tobias Schäfer, 12.01.2004

Julian Thaler, 15.01.2004

PRELIMINARY

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1 - überprüft

 
 Kommentare
 
 
  Tobias Schäfer schrieb am 12.01.2004 um 22:58 Uhr:
 

Sehr schöner Artikel. Nur Kleinigkeiten und Abbildungen ergänzt. Gelungene Tabellen!

 
  Julian Thaler schrieb am 15.01.2004 um 18:57 Uhr:
 

schöner Artikel!